Als ich erst kurz die Diagnose multiple Sklerose hatte, war ich sehr überzeugt, dass ich die Krankheit schnell und effektiv heilen könnte. Unter anderem haben mich einige Internettexte inspiriert, auf denen ehemals Erkrankte angegeben haben, dass sie die Krankheit besiegt haben. Heute weiß ich, dass man für jedes kommerzielle Produkt oder eine Dienstleistung Testimonials findet, die ihre eigenen Verbesserungen auf das jeweilige Angebot beziehen. Je teurer eine Sache ist oder je enger die Beziehung zu dem Anbieter ist, desto stärker werden die Sachen oft verteidigt, denn schließlich gibt niemand gerne zu, dass er tausende von Euro für erfolglose Behandlungen ausgegeben hat. Je schwieriger eine Entscheidung anfangs ist, desto intensiver wird sie dann durchgezogen, weil alles andere peinlich ist. - Hier nun meine Erfahrungen mit einem Jahr Ayurveda und einiges "Drumherum".
Wie fange ich das nun an, denn über meine Erfahrungen könnte ich fast ein ganzes Buch schreiben? Zuerst einmal: Ayurveda ist richtig aufwendig und deshalb leider auch ziemlich teuer. Die grundlegenden Ansätze sind sehr traditionell und versprechen hohe Wirksamkeit bei wenig bzw. gar keinen Nebenwirkungen. MS-Kranken wird meist von Anfang an erklärt, dass nur eine mehrwöchige Anwendung Sinn ergibt und dann ist eben mit Kosten von mehreren tausend Euro zu rechnen. Ich bin dann anfangs auch recht schnell an eine sehr nette Heilpraktikerin geraten, die zusammen mit einem Ayurveda-Arzt aus Indien mehrere solcher Kuren in Deutschland durchgeführt hatte. Der Arzt selbst bietet diese Kuren heute in Indien an, weil er dort selbst ein Ayurvedazentrum an einem Fluss betreibt. Er kommt regelmäßig nach Deutschland, um dann Konsultationen für Interessierte anzubieten (in meiner Branche nennt man soetwas Vertriebstournee, denn nur so kommt man zu Neukunden).
Zunächst hatte ich einen Termin bei der Heilpraktikerin. Diese war sehr freundlich und hat mich auch gut über die Abläufe und die Kur informiert. Sie hat dann empfohlen bioenergetische Blutuntersuchungen durchzuführen, um meine Belastungen und vor allem die richtigen Behandlungsöle zu ermitteln. Diese Untersuchungen kosteten dann fast 800 € und mussten natürlich privat bezahlt werden (bekommt aber das Labor und nicht die HP). Das Ergebnis war ein Sammelsurium von Belastungen und Vergiftungen und laut Ihrer Aussage schlimmer, als sie es je bei einem anderen Patienten gesehen hat. Die Tests für die Behandlungsöle waren relativ günstig (ca. 7€/Öl) und es kam dann eben ein Öl heraus, das bei mir besonders gut wirken dürfte. Ich dachte ursprünglich immer, das zu verwendende Öl sei eine Art besonderes Wissen des eingeweihten Arztes, der dieses aufwändig durch traditionelle Methoden und Diagnosen ermittelt und dieses dann im eigenen Kräutergarten nach Familientradition herstellt. Aber hierzu später noch mehr...
Zunächst wollte ich in Deutschland eine Kur machen, was bedeutet hätte, dass ich für einige Zeit hätte umziehen müssen. Da aber der Arzt gerade in Deutschland war und "es mit großer Mühe" noch schaffte mich zu untersuchen, machte ich eine Konsultation mit ihm aus.
Er hörte sich dann meine Geschichte an und erklärte mir nach kurzem Zuhören (und vorherigem ständigem Kopfschütteln), dass alle anderen meiner derzeitigen Therapieansätze hoffnungslos seien und ich spätestens in drei Jahren im Rollstuhl sitzen würde, wenn ich nicht für mindestens 6 besser 8 Wochen zu ihm nach Indien kommen würde. Betrachte ich das heute, so hatte er mit dem Rollstuhl nicht ganz unrecht, aber ich habe mich über die Art und Selbstverständlichkeit seiner Aussagen (und die ständige Abwertung meiner bisherigen Ansätze) sehr geärgert und nach dem Gespräch alle weiteren Kontakte in dieser Richtung unterbrochen.
Trotzdem war das Thema Ayurveda für mich damit noch lange nicht erledigt. Ich bin dann zu einer Spezialistin in Deutschland gegangen, die mich mehrere Wochen intensiv behandelt hat. Dabei habe ich viel über Ayurveda gelernt. Einerseits aber auch, dass die Ärzte und Spezialisten in diesem Gebiet auch keine allwissenden Götter sind. Immer mal wurden die Öle gewechselt und mehr als die vage Aussage nach der Pulsdiagnose "Oha, Entzündung ist wieder größer geworden!" war meist nicht zu erfahren. Sehr oft war ich zwischen zwei Vermutungen hin- und hergerissen: Entweder hatte sie selbst keine Ahnung und wollte das nicht zugeben oder ich sollte das nicht wissen, weil es ihr Geheimnis war. - Auf dieser Basis ist es natürlich schwierig, das ein echter Wissensaustausch und Dialog zwischen Behandler und Patient zustande kommt.
Naja, ich bin dann täglich fast 200 km zu den Behandlungen gefahren und wurde zwischen 2-3 Stunden behandelt. Meist angenehme Massagen (gelegentlich auch gleich durch zwei Personen) und regelmäßig gab es einen Hut, der aus einer Lederkappe bestand, die dick mit Paste aus Kichererbsenmehl abgedichtet wurde. Auf dem Kopf bleibt dann ein Loch übrig, das vielleicht 5-7 cm Durchmesser hat. In die Kappe wird dann warmes Öl gefüllt und dieses dann entweder immer wieder getauscht oder es kann mit einer Infrarotlampe warm gehalten werden. Jede Behandlung dauert dann bis zu 90 Minuten (wobei ich später auch bis zu 4 Stunden mit der Kappe herumgesessen habe) und soll das Nervensystem regenerieren.
Richtig dumm war dabei, dass die Kappe meist undicht war und ich dann das Öl nach ein paar Minuten in die Augen bekam. Dann war die Behandlung meist schneller zu Ende. Die Behandlerin fand das auch gar nicht so lustig, weil dann eben das teure Öl schneller verbraucht war (50€/Liter). sie hatte das Öl meist aus Sri Lanka gekauft und dann immer wieder gefiltert und gestreckt, damit es häufiger genutzt werden kann. Natürlich sollte das auch Kosten sparen.
Später habe ich dann angefangen mir durch umfangreiche Literatur selbst Informationen über Ayurveda zu besorgen und mich über Monate täglich stundenlang von meiner Frau behandeln lassen. Die Ärztin fand das nicht so lustig, weil eine Nicht-Eingeweihte (meine Frau hat nur eine Massagepraxis) hier an mir gearbeitet hat. Schließlich würde sie nicht die richtigen Marmapunkte kennen und statt ihr diese zu zeigen, kritisierte sie lieber die Ölhüte meiner Frau. Diese waren im Gegensatz zu den ihren auch fast immer stundenlang dicht, aber eben auch ein wenig fester um den Kopf gebunden. Mich hat das nie gestört, denn ich wollte Heilung und keine Komfortmützen.
Zusammen mit den Behandlungen der Ärztin habe ich dann insgesamt fast sechs Monate tägliche Behandlungen durchführen lassen. Mich hat das nicht gestört, denn ich finde Massagen echt gut und mit dem Hut herumsitzen war nicht sehr anstrengend. Leider kann ich nicht behaupten, dass die Behandlungen eine Wende gebracht haben oder auch nur etwas wiederhergestellt haben. Leider...
Irgendwann habe ich dann die Selbstbehandlung wieder aufgegeben und bin noch einmal ins Gespräch mit einem MS-Kranken gekommen, der selbst seit einigen Jahren Fahrten nach Indien organisiert, wo er mit anderen Betroffenen vierwöchige Kuren in einem Ayurveda-Ressort durchführt. Ich bin da aber nicht hingefahren, weil mir Indien viel zu heiß ist und ich extreme Verschlechterungen bei Hitze erleide. Das hatte mir vorher auch schon einmal Kosten von 1200 € für eine Hotelstornierung eingebracht, weil ich eine Kur in einem anderen Ayurveda-Hotel gebucht hatte, aber aufgrund einer Verschlechterung nicht gefahren bin, die hier in Deutschland auftrat, weil es ca. 30 Grad heiß war. Indien war mir dann zu riskant (von den notwendigen Impfungen einmal abgesehen). - Das Gespräch brachte einige wichtige Infos. Er kannte nämlich den oben genannten Arzt persönlich und war auch in seiner Klinik. Er sei aber schnell wieder abgefahren, weil dort die Toiletten viel zu weit vom Behandlungsbereich entfernt waren und er kannte auch einige der Leute persönlich, die auf der Website des Arztes als geheilt angegeben werden. Er war der Meinung, das die Leute heute immer noch krank oder im Rollstuhl seien und man von Ayurveda zwar durchaus Besserungen aber eben keine Heilung erwarten könne.
Nun, ich kann es bis heute nicht wirklich beurteilen. Ich finde aber nichts schlimmer als Intransparenz und vage Behauptungen. Wenn Ayurveda hilft und man damit weiterkommen will, muss man sich der Sache professionell annehmen und vieles Hinterfragen. Mich haben die eigenen Erkenntnisse bestimmt 10.000 € gekostet und meine Frau viele liebevolle Stunden, die sie sich toll um mich gekümmert hat. Dafür bin ich ihr sehr dankbar! Die Erkrankung wurde aber damals weder gestoppt noch gelindert und vielleicht hätte ich hier viel früher abgebrochen, wenn dieser Arzt nicht behaupten würde, dass er eine Krankheit heilen könne, für die es hier keine bekannte Heilungsmethode gibt.
Noch ein wenig zum Öl. Man kann über das Internet relativ leicht geeignete Öle beziehen. Ich bin dann auch bald bei einem Anbieter gelandet, der einem günstig gute Öle schickt. Diese konnte ich dann entweder selbst für 7€/Öl bioenergetisch testen lassen oder ich habe mich auf die Empfehlung des Anbieters verlassen, der mir recht klar sagen konnte, welche Öle für welche Erkrankung (MS ist immer eine Vata-Erkrankung) genutzt werden. Das Erfahrungswissen des Anbieters war mir dann letztendlich wertvoller, als undurchschaubare Diagnosen von Eingeweihten oder Bioenergetik aus dem Labor.
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