Sonntag, 27. Juli 2014

"Der Sterbehelfer war schon mal da" - Freitod und schwere Erkrankungen

Wer mit schweren neurologischen Erkrankungen konfrontiert wird, muss sich unweigerlich Gedanken um den eigenen Tod machen. Man kommt nämlich durch den stetigen Verfall der Leistungskräfte und der eigenen Selbständigkeit gedanklich an den Punkt "Wenn irgendwann nichts mehr geht!"
Wenn Du Dir das praktisch nicht vorstellen kannst, hier mal ein paar typische Fragestellungen, die in dieser Situation auftauchen:

  • Was, wenn ich irgendwann nicht mehr aus dem Bett aufstehen kann? Ich bin jetzt vielleicht 30 (40, 50) Jahre alt und habe dann ggfs. noch viele Jahre Bettlägerigkeit vor mir, denn von alleine sterben wird man ja eher selten an dieser Erkrankung?
  • Wie gehe ich dann ganz praktisch auf Toilette?
  • Wie schwer belastet dass meine Angehörigen?
  • Wie vertreibe ich mir die Zeit, wenn ich alleine im Bett liege und auch keine Kraft habe, z.B. zu telefonieren?
  • Wie gehe ich damit um, dass ich vielleicht auch psychische Veränderungen habe, die ich erst bemerke, wenn es schon heftig ist?
  • Halte ich die chronischen Schmerzen als ständigen Begleiter überhaupt noch aus?
  • Wie finanziere ich das alles?
Ich bekomme oft von Borreliosekranken (MS, CFS,...) das Feedback, dass man sich so fühlt, wie in einen Alienkokon eingesponnene Opfer. Borrelien scheinen Ihre Opfer auch zu konservieren. Man verträgt keine Hitze, Sonne oder Bewegung und liegt daher den ganzen Tag im schattigen Zimmer (wer das Marshallprotokoll macht, braucht dafür nicht mal schwer krank zu sein).
Patientenverfügungen helfen einem übrigens nicht, wenn man bewegungslos im Bett verhaart. Die gelten nur für lebenserhaltende Maßnahmen und der "Gang zur Klippe" ist einem auch verbaut, wenn man keinen Schritt mehr gehen kann und sich mit dem Behindertenfahrdienst erst mühsam zur nächsten Bergkuppe fahren lassen müsste.
Ich habe neulich einen Neurologen gefragt, was eigentlich mit den ganzen Schwerkranken passiert, die in frühen Jahren einen schweren Verlauf erleiden. Er war erst ein wenig irritiert und wohl nicht auf diese Frage gefasst. Recht kleinlaut erwähnte er dann, dass die irgendwann aus der Behandlung verschwinden und sie dann wohl im Pflegeheim landen.
Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Person, die als Sterbehelfer schon einige Fälle betreut hatte. Das Gespräch verlief sehr ernsthaft und gleichzeitig entspannt. Nach seiner Erfahrung wenden sich meist 3 Typen von Erkrankten an ihn: Betroffene von MS, ALS und Chorea Huntington.
Viele der einschlägigen Suzidversuche scheitern oder sind unpraktisch für den Erkrankten. Manche (z.B. vor fahrende Züge springen) verbieten sich aus moralischen Gründen. Letztendlich ist der assistierte Suzid besser als gescheiterte Versuche, bei denen ggfs. noch ein jahrelanges Koma die Angehörigen belastet. Im praktischen Fall kommt besser jemand mit der Heliumflasche vorbei und dann ist das relativ sicher. Bei Google&Co. sind diese Methoden übrigens sehr umfassend beschrieben, sodass ich hier nicht weiter darauf eingehen möchte. Im Gespräch wurde mir auch eine Art Sterbecocktail erläutert, dessen Bestandteile (bisherigen Therapien sei Dank) ich praktischer weise auch schon im Haus hatte. Auch der richtige Umgang mit dem umstrittenen Thema Sterbehilfe ist nicht ganz einfach. Was gibt der Arzt als Todesursache an, wird die Polizei verständigt, was riskieren die Angehörigen? Es gibt aber Hoffnung, dass unsere Gesellschaft lernt, mit diesem Thema sachlicher umzugehen und sich in Zukunft auch hier bessere Entscheidungen treffen lassen. Das sind alles knifflige Punkte.
Ich persönlich finde die folgenden Fragestellungen immer wieder relevant, bevor man sich mit diesem schwierigen Thema befasst:

  1. Was ist die Perspektive meiner Erkrankung? Kann es besser werden oder droht mit hoher Sicherheit (100 Prozent wird man nie sicher sein) ein immer schwererer Verfall oder Schmerzen?
  2. Was bedeutet meine Krankheit für meine Angehörigen? Werden die evtl. erlöst oder sind sie nachher schwer betroffen (Ängste, Schuld, Depressionen)?
  3. Was bedeutet es für mich, wenn ich sterbe? Ist mir das egal? Habe ich Angst vor dem Danach?
  4. Habe ich hier noch eine Aufgabe oder etwas für mich (oder andere) zu tun?

Wenn man auch bei nur einer der obigen Fragen größere Zweifel hat, dann gibt einem dass Grund genug, das Thema noch eine ganze Weile aufzuschieben.
Ich bin übrigens selbst erstaunt, wie schnell der Mensch sich an neue Zustände gewöhnt. Viele sagen ja gerne, dass sie sich umbringen würden, wenn Sie z. B. durch Unfall querschnittsgelähmt wären. Aber tatsächlich gewöhnt man sich an solche Umstände sehr schnell. Und mit den richtigen Medikamenten lassen sich auch Schmerzen recht gut aushalten. - Ich bin froh, dass ich diesen Beitrag "hinter mir" habe.

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